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Dr. Annette Lagler | Direktorin Ludwig Forum für Internationale Kunst – Aachen | Deutschland – Laudatio Ausstellung: Einblick

Laudatio Ausstellung: Einblick | Burggalerie Stolberg

Dr. Annette Lagler | Direktorin Ludwig Forum für Internationale Kunst - Aachen | Deutschland

Zwei unterschiedliche Serien bestimmen das neuere Werk von Judith Sturm -  der Zyklus der rosafarbenen Arbeiten und der der zergliederten Akte.

In der erst genannten Serie bestimmt Rosa den Farbton der Haut junger Frauen sowie die  Hintergrundfarbe, die den gesamten Bildraum ausfüllt. Rosa legt die Grundstimmung und Atmosphäre der Bilder fest.

In der Malerei gehört das „Rosa“ zu den raffiniertesten Tönen. Wie keine andere kann sie Kälte und Wärme ausdrücken, changiert sie zwischen Nähe und Distanz. Ein wenig mehr Blau hineingemischt und Rosa wird zum Zeichen eines unterkühlten Feminismus, ein wenig mehr gelb und der Ausdruck wird warm und lachsfarben. Diese farbphysiologische Spannbreite setzt Judith Sturm in ihren Bildern gezielt ein, indem sie die unterschiedlichen Farbnuancen über- und nebeneinander aufträgt, sie verreibt und teils wieder auswischt. Für den Betrachter unbewusst übermitteln diese Gemälde widersprüchliche Informationen.

Dieses Prinzip der gegensätzlichen Bildwirkungen wendet Judith Sturm auch an, indem sie den oft sehr reizvoll bekleideten, mädchenhaften Protagonistinnen durch absorbierende und abgeriebene Salze eine fleckige Haut verleiht, die camouflageartig dem Bildhintergrund entspricht. Dabei überrascht die an einen Zersetzungsprozess erinnernde Maloberfläche angesichts des Bildmotivs, das eher die an makellose Haut junger Frauen denken lässt. Nähert sich der irritierte Betrachter daher den Bildern, um die Bildinformationen zu überprüfen, so entzieht sich der Bildgegenstand, entschwindet die dargestellte Figur in ein filigranes Muster, aquarellartiger, abstrakter Binnenstrukturen und der Betrachter wird in einen eher kunstimmanenten Diskurs über Figuration und Abstraktion verwickelt..

Um auf einem solch raffinierten, abstrakten Malgrund glaubhaft Figuren entstehen zu lassen, legt die Künstlerin schwarze oder gemusterte  Silhouetten über das Bild, wie etwa die eines Trägerhemdchens oder einer Coursage. Der stets bewegte Faltenwurf verleiht den Figuren Bewegung, haucht ihnen Atem ein und suggeriert das „Umhülltsein“ eines sinnlichen weiblichen Körpers.

Als Kleidungsstücke wählt Judith Sturm gerade solche aus, die zwischen Umschuld und Verführung changieren. Das am Stil der 50er Jahre orientierte Pünktchenmuster, das Wäsche, Tapeten und Taschen überzieht, lässt unschuldige Prüderie assoziieren. Andere Kleidungsstücke oder Körperhaltungen scheinen wegen ihrer erotisierenden Wirkung ausgesucht:- wie beispielsweise das schulterfreie Top mit weit nach oben gespreizten Armen,  das schwarze Mieder mit Strumpfhaltern und beinlangen Strümpfen, oder das beschwingt gewallte Minniröckchen mit „beinah“ Untersicht. Durch Muster, Kleidungsstil und Gesten weckt die Künstlerin erotische Erwartungen und durchbricht sie zugleich immer wieder spielerisch. Selbst die anspielungsreiche Begegnung von zwei mit schwarzer Wäsche und Dessous knapp bekleideten Frauen enthüllt trotz gewagter Perspektiven letztlich rein gar nichts.

Eine plakativ-eindeutige Erotik wird auch durch die gleichartige Gestaltung von Haut und Hintergrund vermieden, die wie oben erwähnt das körperlich Greifbare in abstrakte Strukturen auflöst. Das kleidende Pünktchen-Design erscheint so als Lochmuster, das den Blick vermeintlich auf  nackte Haut freigibt. In den Kreisen wird eine rosarote, unruhig-pulsierender Struktur sichtbar, ein unerwartet vitales Innenleben, das an eine essentielle Substanz des Fleischlichen denken lässt. Auch die radikalen Ausschnitte, die den Körper zum Torso stilisieren lenken von der ungebrochenen Sinnlichkeit des weiblichen Körper ab. Sie rücken stattdessen das Bekleidungsstück in den Vordergrund und machen es zum eigentlichen Bildthema.

In ihren neusten, sandfarbenen Bildern scheinen die Aktdarstellungen zunächst komplett, nur die Kleidungsstücke, wie etwa ein Short, sind ausgespart. Beim näheren Betrachten wird deutlich, dass das Wechselspiel aus fertigen und unfertigen Partien den Körper unterteilt oder halbiert. Auch an Stellen, für die kein Kleidungsstück vorgesehen ist, wie etwa der Taille, ist der Körper getrennt und verweist so mit psychologisierendem Unterton auf die fehlende Mitte einer Frau. An anderer Stelle  fügt Judith Sturm neben die Freiflächen gemalte mit Papierlaschen versehene Kleidungsstücke für Anziehpuppen, das an das kindlich-spielerische Einüben des weiblichen Rollenspiels erinnern. Nun scheint der Betrachter aufgefordert, die Figuren einzukleiden und durch die angebotenen Alltags-Fetische des Weiblichen den Typus zu bestimmen und die Figuren zu vollenden 

Klassische ikonographische Verweise ergänzen die Bilder – wie etwa verstreut gemalte Physalis. Die Frucht in blattartiger Hülle symbolisiert  Fruchtbarkeit und Reife und zugleich das Verhältnis von Hülle und Körper. Ein weiteres Accessoire ist der immer wiederkehrende rote Faden, der mal um den Arm geknüpft, mal zum Zerreißen gespannt ist und ein andermal das Bild als graphische Linie durchzieht. Angesichts der vielen Kleidungsstücke lässt er sich als Nähutensiel im Sinne eines weiblichen Attributs deuten, als blutrotes Bändchen versinnbildlicht es auch Körperlichkeit, weibliche Unschuld und Lebensenergie. Die deutlich dargestellte Spannung lässt die Verletzbarkeit erahnen, die der Person aber auch des Wunschbildes von einer makellosen Frau.

Judith Sturm hat sich einem der ältesten Themen der Kunstgeschichte – der Darstellung des Frauenkörpers - gewidmet. Durch das reflektierte Spiel mit Hülle und Körper und die facettenreichen Ausarbeitungen von Distanz und Annäherung, von Anreiz und Abstand ist ihr ein neuer, zeitgemäßer Impuls für ein tradiertes Thema gelungen.

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