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Mirjam Elburn | M. A. | freiberufliche Kunsthistorikerin / Kunstvermittlerin | Dipl. Bildende Künstlerin – Dargun, MV | Deutschland

Bereit zum Tragen?

Mirjam Elburn | M. A. | freiberufliche Kunsthistorikerin / Kunstvermittlerin | Dipl. Bildende Künstlerin - Dargun, MV | Deutschland

In der alltäglichen Dingweltlichkeit von Modezeitschriften und Werbeindustrie begründet sind die Bildmotive von Judith Sturm. 

Sie präsentieren die Wirklichkeit der zeitgenössischen werbemedialen Alltagswelt, zeigen ausschnitthafte Einblicke in die vom ewig jugendlichen Model dominierte Bilderwelt der Modeindustrie. Obgleich das schon lange eingeläutete „Ende der Prüderie“ (1) und das Ende des Versteckspiels mit Pin-ups, (2) vermeintlich zu „einer Umkehrung der Werte“ (3) führte, zeigen die Bilder von Judith Sturm, dass „Wertbegriffe - «schön, gut, wahr» - [...] angesichts zunehmender Kommerzialisierung innerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu austauschbaren, inflationären "Worthülsen“ (4) geworden sind.Vielmehr stellt sich hier immer wieder aufs Neue die Frage nach Wirklichkeit und Wahrheit, Oberfläche und Tiefe. Weibliche Körper – primär fragmentarisch beschränkt auf Po, Brust, Beine – scheinen die ewige Mädchenhaftigkeit der Modezeitschriften und Lifestyle-Magazine zu dokumentieren. Aber ebenso wenig wie Modezeitschriften das kurzlebige Diktat der Modezaren wiedergeben oder gar neue Trends kreieren, sondern vielmehr unseren Leib im Fokus haben. (5)

Ebenso wenig lässt sich die Malerei von Judith Sturm fassen, indem man sie nur auf die weibliche Lebensweltlichkeit gefangen in Körperkonventionen beschränkt. Modezeitschriften verfassen Körpervorschriften, diese werden von Judith Sturm reflektiert und gleichzeitig Malerei mit kompositorischer Versiertheit und formaler Sicherheit selbstreflexiv thematisiert. 

Fallen auf den ersten Blick die lasziv inszenierten Körperfragmente auf und laden den Betrachter ein gefällig in voyeuristischer Manier über die Bildoberfläche zu streifen, in der Hoffnung einen Blick auf Intimstes zu erhaschen, so verweigern ihm kompositorische Entscheidungen der Künstlerin dies. Der Betrachter sieht trotz extremer Untersichten und vermeintlicher Ein- und Durchblicke - eigentlich nichts. Vielmehr lässt die Darstellung die Pin-ups der burlesken Tänzerinnen der 1950er Jahre erinnern. Letztendlich verhüllen – wenn auch nur knapp – Kleidungsstücke die intimsten Stellen und verwehren dem Betrachter geheime Einblicke. 

Stattdessen erblickt er beim näheren Hinschauen Makel auf der als ewig jugendlich vermuteten Haut, stellt mit Schrecken fest, dass hier statt glatter ebenmäßiger Oberfläche, gerötete, fleckige, verwundete Haut nahezu haptisch erlebbar wird.  Die Salze, die die Künstlerin verwendet zersetzen die glatte Farbfläche, lassen auf hautfarbenem Inkarnat Verfallsprozesse erkennen und damit den Vanitasgedanken aufsteigen. Hier wird ein Leib gezeigt, dessen Oberfläche seine Vergänglichkeit schildert - wie jedes Leben mit seiner Geburt stetiges Altern und Endlichkeit in sich trägt. Mit dem Einsatz der Salze sprengt Judith Sturm die homogene flächige Darstellung der Hautoberfläche und entfernt sich – sobald der Betrachter nahe ans Bild herantritt – von der figürlichen Darstellung. Was auf den ersten Blick als klare monochrome Fläche erschien und den Plakatcharakter der Pop Art Malerei gegenwärtig werden lässt, ist bei genauerem Hinschauen ein eigener Organismus, abstrakte Struktur, zeigt die Materialhaftigkeit der Farbe. 

Judith Sturm schafft eine Reduktion auf in der Fläche verankerte Körperformen und verzichtet auf die traditionellen illusionistischen Bildmittel der Perspektive. Sie verdeutlicht dem Betrachter das Wesen der Malerei – die Gebundenheit ihrer Gegenstände an die Zweidimensionalität. Statt Tiefenräumlichkeit erzeugt Judith Sturm Einheit auf der Bildoberfläche, einzig durch Schichtung und Überschneidung klingt ein Vorne und Hinten an. Elemente bekannt aus Modezeitschriften: beliebte verspielte mädchenhafte Stoffmuster werden zum Hintergrundelement und sind gleichzeitig Muster der Kleidung. Hierdurch entsteht ein Wechselspiel zwischen Fläche und Tiefe. Farbe verläuft, hebt den Eindruck von klaren industriell gefertigten Stoffmustern – zumeist Polkadots oder Streifenoptik – auf und durchbricht den Plakatcharakter wiederum.

Auf die Spitze getrieben wird das Wechselspiel von Oberfläche und Tiefe, wenn Judith Sturm Kleidungsstücke, wie Papierschnittmuster für Anziehpüppchen arrangiert. Sie lässt durch überstehende Papierlaschen erkennen, dass diese in der Fläche verhaftet sind. Daneben stehen plastisch anmutende Körperfragmente und laden ein diese neu einzukleiden, appellieren an weibliche frühkindliche Rollenzuschreibungen und bieten Handlungsoptionen. Auffällig ist, dass ausschließlich Körperfragmente zu sehen sind, die keiner Person zugeordnet werden können. Kein markantes Körpermerkmal ist zu erkennen, niemals ein Gesicht, wenn überhaupt ein Haarschopf von hinten. Vermuten lässt sich da ein Bezug zur entpersonalisierten Leiblichkeit unserer Gegenwart, eine Kritik an einer Sexualität ohne Gesicht. Aber hat man Fotografien von der Künstlerin selbst gesehen, so erkennt man, dass es ihr Leib ist der hier gezeigt wird, denn Haare und Statur stimmen überein. 

Nach einiger Zeit mit Modellen, verwendet Judith Sturm nun vorrangig Fotografien vom eigenen Leib als Material für ihre Malerei, inszeniert Situationen bis an die eigenen Grenzen und fügt Fragmente zu einem neuen Bild zusammen. Hierdurch taucht der Betrachter ein in ein Wechselbad von Nähe und Distanz ohne jedoch die Grenze zur peinlichen Berührtheit zu erreichen. Denn ebenso wie visuelle Einblicke ins Intimste verwehrt werden, wird hier keine Seelenschau betrieben. Denn obgleich der Betrachter erfährt, dass er die Künstlerin selbst in lasziver Pose sieht, wird durch Ausschnitthaftigkeit und Rollenspiel Distanz gewahrt.

Den Betrachter bezieht Judith Sturm immer aufs Neue ein, appelliert an dessen Spieltrieb,  spielt mit seiner Erwartungshaltung und der Erinnerung an alltägliche, nebensächliche Handlungen. So müssen Körper um Fehlstellen ergänzt werden oder die Hoffnung auf das Gewähren des ‚verbotenen’ Einblicks wird in der Momentaufnahme aufrechterhalten. Zuvorderst wird der Betrachter immer wieder erneut eindringlich gefordert sich das Wesen der Malerei im Spannungsfeld von Tiefe und Fläche bewusst zu machen und Wahrheit und Wirklichkeit von Bild zu hinterfragen.

1 Osterwold, Tilman: Pop Art, Köln 2003, S.6

2 Ebd.

3 Ebd.

4 Ebd. 

5 Anm.: 

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